Der Einladung des Präsidenten der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, Professor Uwe Ebmeyer, und des Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA), Dr. Jörg Böhme, zum Parlamentarischen Abend am 23. August 2023
waren zahlreiche Gäste aus der Politik des Bundes, des Landes und der Stadt, aus der Ärzteschaft, aus der Universitätsmedizin Halle und Magdeburg, aus dem Gesundheitswesen und der Wirtschaft gefolgt.
Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, unterstrich durch seine Anwesenheit und sein Grußwort die große politische Bedeutung der aktuellen Situation des Gesundheitswesens. Bei schönem Sommerwetter wurde dieses schwierige Thema, das die gesamte Gesellschaft und jeden Einzelnen von uns persönlich betrifft, diskutiert.
Pressekonferenz
Die vorab durchgeführte Pressekonferenz stieß auf große Resonanz, man könnte die Konferenz so zusammenfassen:
> der Patient: die medizinische Versorgung in Sachsen-Anhalt,
> die Symptome: überlastet und unterfinanziert,
> die Diagnose: die flächendeckenden Strukturen der Versorgung sind akut gefährdet,
> die Therapie: eine entschlossene Gesundheitspolitik, die auf ärztlichen Sachverstand zurückgreift.
Professor Ebmeyer ging auf die aktuelle Versorgungslage in Sachsen-Anhalt ein und betonte, dass es im gesamten Gesundheitssystem an Ärztinnen und Ärzten sowie ärztlicher Arbeitszeit fehle. Es bestehe ein hoher Bedarf an jungen Medizinern – der aber nicht allein mit den Absolventinnen und Absolventen der beiden medizinischen Fakultäten in Sachsen-Anhalt kompensiert werden könne. Und – frustrierend sei, dass zu wenige Medizinabsolventen nach ihrem Studium noch in Sachsen-Anhalt ärztlich tätig sind. Der Kammerpräsident und Dr. Böhme waren sich darin einig, dass die Politik für bessere Rahmenbedingungen sorgen müsse, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Nicht nur auf dem Papier müssen mehr Ärztinnen und Ärzte und daher ebenso mehr Medizinstudienplätze zugesichert werden. Dies erfordere mehr denn je eine praktische Umsetzung. Eine Tätigkeit im Land müsse für die Ärztinnen und Ärzte attraktiver werden.
Schon heute versuchen Kammer und KVSA mit verschiedenen Projekten, wie dem Projekt „Raus aus der Schule – Rein in die Medizin“, gemeinsam notwendige Änderungen herbeizuführen. „Unsere Mittel und Zuständigkeiten sind jedoch begrenzt. Vielmehr müssen und wollen wir gemeinsam mit Politik, Fakultäten, Verwaltungen und Gemeinden Lösungen finden. Hierfür stehen wir mit unserer ärztlichen Expertise jederzeit zur Verfügung“, stellte Professor Ebmeyer klar.
Dr. Böhme kritisierte, dass sich die Praxen immer wieder mit nicht-funktionierenden digitalen Anwendungen auseinandersetzen müssten und damit die ärztliche Tätigkeit erschwert würde.
Die Ärzte, Psychotherapeuten und das medizinische Personal im ambulanten und stationären Bereich sowie im öffentlichen Gesundheitswesen werden ihren Beitrag leisten, da sind sich Professor Ebmeyer und Dr. Böhme sicher. Die ärztlichen Selbstverwaltungen werden wo möglich unterstützen. Nun liege der Ball ganz klar bei der Politik auf Landes- und Bundesebene.
Die gemeinsame Pressemitteilung der Ärztekammer und KVSA können Sie hier einsehen: https://t1p.de/pm-versorgung


Professor Uwe Ebmeyer eröffnete den Parlamentarischen Abend
Parlamentarischer Abend: Gesundheitssystem auf Achterbahnfahrt
Für die Gäste des Parlamentarischen Abends verdeutlichte Professor Ebmeyer die gravierenden Probleme der Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt. Es sei wie bei einer Achterbahnfahrt – mit rasendem Tempo bewege sich das Gesundheitswesen auf einer unebenen Bahn mit vielen Richtungswechseln, Überschlägen und scharfen Kurven. Vieles von dem, was momentan in Berlin im Bundesgesundheitsministerium oder der Regierungskommission in Planung sei, rufe besorgtes Kopfschütteln hervor. In einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt fühle man sich mit seinen Sorgen allzu oft nicht ernst genommen und werde von den Entscheidungen überfahren, so der Kammerpräsident.
Die Notaufnahmen und Notfallambulanzen arbeiten heute bereits permanent am Limit. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und das fehlende Fachpersonal ist der limitierende Faktor. Erforderlich sei eine effizientere Patientenlenkung in der Akut- und Notfallversorgung. Auf Landesebene wird gemeinsam an verschiedenen Modellen gearbeitet, die die Spezifika unseres Bundeslandes berücksichtigen.
Fraglich sind Überlegungen des Bundesgesundheitsministeriums zum Facharzt für Notfallmedizin oder zu einer der Notaufnahme-vorgelagerten Vor-Triage.
Denn der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach könne nicht das Personal und die Finanzierung dafür zur Verfügung stellen.
„Die ärztliche Weiterbildung darf nicht zum Spielball gesundheitspolitischer Partikularinteressen werden“, betonte der Kammerpräsident. Daher erschließe sich ihm auch nicht die Idee eines Bundesministers, die ärztliche Weiterbildung schwerpunktmäßig in die niedrigste Versorgungsstufe des Gesundheitssystems zu verlagern. Für die Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung habe die Bundesärztekammer konkrete Diskussionsvorschläge unterbreitet.
Außerdem muss die Ausstattung und die Organisation der Weiterbildung für die jungen Kolleginnen und Kollegen verbessert werden, Beispiele sind die Finanzierung der ambulanten Phasen und die bei jeder Stelle neuerliche Befreiung von der allgemeinen Rentenversicherungspflicht.
In Sachsen-Anhalt sind nicht genügend Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung um die medizinische Versorgung sicherstellen zu können. „Wir haben das große Glück, in Sachsen-Anhalt zwei solide medizinische Fakultäten vorzuhalten und schaffen es dennoch nicht, den notwendigen ärztlichen Nachwuchs für dieses Land in ausreichender Zahl zu gewinnen,“ sagte Professor Ebmeyer enttäuscht.
Ein Problem: die zu geringe Anzahl von Abiturientinnen und Abiturienten aus unserem Bundesland beim Medizinstudium, denn auf den Bundesdurchschnitt bezogen studieren etwa 100 Abiturientinnen und Abiturienten aus unserem Bundesland zu wenig Medizin. Außerdem fehlt ein wirklich rechtskonformes effektives Instrument, das Absolventen der Medizinischen Fakultäten, die im Rahmen von Quoten studiert haben, auch da wirksam werden lässt, wo sie gebraucht werden.
Mit der von der Ärztekammer, KVSA, den medizinischen Fakultäten und dem Bildungsministerium erfolgreich initiierten Kampagne „Arzt in Sachsen-Anhalt“ wird für ein Studium und eine ärztliche Tätigkeit in Sachsen-Anhalt geworben. Die Abgeordneten müssen jetzt die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Initiative schaffen.
Die Ärztekammer und die KVSA sind sich absolut einig, dass die Sicherung des einen nicht auf Kosten des anderen Sektors erfolgen darf. „Wir unterstützen gemeinsam die Krankenhausreform und auch die damit verbundenen Maßnahmen, die für eine sinnvolle und intensivere Verzahnung von ambulanter und stationärer Medizin zielführend sind,“ so Professor Ebmeyer.
Die Ärztekammer hat sich bereits seit einiger Zeit dem Thema gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels gewidmet. Vor diesem Hintergrund lud der Kammerpräsident die Anwesenden zur Baumpflanzaktion im Harz ein, die nach der erfolgreichen Aktion im vergangenen Jahr am 17. November 2023 in der Nähe von Wernigerode geplant sei. Er forderte alle Anwesenden auf, sich aktiv daran zu beteiligen.


Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne & Wissenschaftsminister Prof. Armin Willingmann


Die Magdeburger Oberbürgermeisterin Simone Borris


Dr. Jörg Böhme während seiner Rede
Situation im ambulanten Sektor
Herr Dr. Jörg Böhme betonte, dass aus Sicht der KVSA nicht versprochen werden könne, dass für alle Praxen eine Nachfolge gefunden werde. Und auf die Frage nach einem kurzfristigen Termin bei einem Facharzt ergebe sich gerade im ländlichen Bereich die große Herausforderung nach den immer weiteren Wegen für die Patientinnen und Patienten. Insgesamt sei die ambulante Versorgung in Sachsen-Anhalt akut gefährdet.
Da Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinische Fachangestellte fehlen, sind Wartezeiten lang und die Wartezimmer übervoll. In den ländlichen Regionen kommt jetzt der Mangel an Fachärzten hinzu. Die KVSA macht schon seit 2002 auf den bevorstehenden Ärztemangel aufmerksam und steuert nach ihren Möglichkeiten dagegen an.
Von der Bundes- und Landespolitik erwartet Dr. Böhme endlich die Erhöhung der Anzahl der Medizinstudienplätze. Dies müsse jetzt umgesetzt werden um langfristig mehr Ärztinnen und Ärzte zu haben. Die Landespolitik muss die Landarztquote erhöhen und auch für Facharztgruppen öffnen, um gezielt mehr Medizinstudierende an den ländlichen Bereich in Sachsen-Anhalt zu binden.
Für die Praxen ist es unbedingt notwendig, die dauerhaften Arbeitsbelastungen zu reduzieren, die Budgetierung der Vergütung zu beenden und die steigenden Praxis-, Personal- und Investitionskosten über die Erlöse auszugleichen. Nur dann werde der ärztliche Nachwuchs weiter Interesse an der Niederlassung und der Arbeit in Vollzeit in der Praxis haben. In dem Zusammenhang wies Dr. Böhme darauf hin, dass aktuell die Krankenkassen aufgrund der Quotierung Leistungen in Höhe von 75 Millionen Euro pro Jahr nicht auszahlen.
Es fehle an digitalen Neuerungen, die von Beginn an reibungslos funktionieren und den Praxen einen sofortigen Mehrwert bringen, so Dr. Böhme. Es sei nicht verständlich, dass das Bundesgesundheitsministerium und die Gematik als Träger der Gesamtverantwortung für die Telematik-Infrastruktur das Angebot der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten nicht endlich annehmen und uns von Beginn an in das Entwickeln und Testen von neuen digitalen Anwendungen einbeziehen.
Bei der Ambulantisierung fehlen Taten. Ambulant sensitive Fälle und definierte operative Leistungen gehören in den ambulanten Bereich – mit Übergang von Personal und Vergütung. Hybrid-DRG müssen für die Krankenhäuser und die ambulant tätigen Ärzte gleich und auskömmlich vergütet werden. Aus Sicht der KVSA ist dies eine Chance für die intersektorale Versorgung.
Zusammenfassend erklärte Dr. Böhme, dass die ambulante Versorgung noch funktioniere – dank des hohen Engagements der Ärztinnen und Ärzte ebenso der Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Die KVSA als ärztliche Selbstverwaltung werde unterstützen, wo es möglich ist. Aber die Grundlagen müsse die Politik auf Landes- und Bundesebene schaffen.
Entwicklungen in der Landespolitik
Zu Beginn seines Grußwortes dankte der Ministerpräsident, Herr Dr. Reiner Haseloff, seinen Vorrednern Professor Ebmeyer und Dr. Böhme für ihre Ausführungen, die ein Update der Themen seien, mit denen sich die Landesregierung regelmäßig befasse. In der Landespolitik sei man sich einig über die erforderlichen Entscheidungen zur Bewältigung der demografischen Auswirkungen in den nächsten Jahrzehnten. Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen reichten nicht, um eine hochqualitative Gesundheitsversorgung in ganz Deutschland sicherzustellen, aber erst recht nicht für ein Flächenland wie Sachsen-Anhalt.
Besonders bei den Ministerkonferenzen der sechs östlichen Bundesländer werde deutlich, dass das Gesundheitssystem in der gegenwärtigen Form nicht die nächsten Jahrzehnte durchstehen könne.
Zur Frage des ärztlichen Nachwuchses machte der Ministerpräsident deutlich, dass die Anzahl der Studienplätze für Medizin in hohem Maß durch bundeseinheitliche Reglungen festgelegt ist. Das gilt besonders für die Zulassungskriterien zum Medizinstudium und die Kapazitätsberechnungen. Hier könne das Bundesland Sachsen-Anhalt nicht allein entscheiden – Grundlage sei der Staatsvertrag zur Hochschulzulassung. Das Landeskabinett bemühe sich aber immer um mehr Studienmöglichkeiten für Medizin.
Der Ministerpräsident machte die Zusage, dass das Landeskabinett als nächste Stufe einen „Gesundheits-Dialog“ aufsetzen werde. Die gesamte Landesregierung müsse ihren Beitrag leisten – nicht nur das Gesundheits- oder Wissenschaftsministerium. Die Entscheidungen beträfe auch die Digitalisierung und die Finanzierung.
Dem Kabinett sei es auch wichtig, dass die Interessenlage Sachsen-Anhalts in die Bundesgesetzgebung und bundeseinheitliche Steuerung des Gesundheitswesens mit eingebracht werde. In Rahmen des „Gesundheits-Dialogs“ werde in der gegenwärtigen Legislaturperiode des Landtags gemeinsam mit der Ärzteschaft das Gesundheitssystem so entwickelt, dass die Ärztinnen und Ärzte auch in Zukunft motiviert und erfolgreich in Sachsen-Anhalt tätig sein können.
Anschließend war in sommerlicher Atmosphäre und mit Livemusik für alle Gelegenheit, sich über die zukünftigen Herausforderungen auszutauschen. Dabei wurde u. a. auch das angebotene Speiseeis gerne angenommen. Das deutschlandweite Presseecho in den Tagen nach unserer Veranstaltung zeigt, dass die intensive Debatte besonders mit den politisch Verantwortlichen eine große Bedeutung im Rahmen unserer Tätigkeit in der Ärztekammer und in der Kassenärztlichen Vereinigung hat.
Hermann-Josef Rothkötter, Chefredakteur

Der Ministerpräsident
bei seinem Grußwort
an die Ärzteschaft
Fotos: Peter Gercke